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Hildegard wurde wohl als Tochter des rheinfränkischen Edelfreien Hildebert von Bermersheim/Alzey geboren. Schon als kränkliches Kind hatte sie Visionen; sie behielt diese prophetische Gabe des Voraussehens und des Gegenwärtiges im Blick auf die Zukunft richtig zu deuten ihr Leben lang. Hildegard wurde bei ihrer Verwandten Jutta von Sponheim in deren Klause am Kloster Disibodenberg erzogen. Auch hier war sie immer wieder krank, kaum fähig zum Gehen, oft auch durch Sehbehinderungen eingeschränkt. Nach Juttas Tod 1136 wurde Hildegard deren Nachfolgerin als Priorin, entschied aber, 1147/48 ihr eigenes Kloster über dem Grab von Rupert von Bingen zu gründen.

Hildegard zog mit 18 Schwestern in dieses heute nicht mehr vorhandene Benediktinerinnenkloster auf die Rupertsberg genannte Anhöhe bei Bingen und war die Äbtissin. Männer und Frauen aller Stände des Volkes suchten sie in ihrem Kloster auf oder baten schriftlich um ihren Rat; mit Kaiser Friedrich Barbarossa führte sie einen ausführlichen Briefwechsel. Da sie selbst nicht Lateinisch konnte, diktierte sie alle ihre Schriften. 1165 gründete sie das heute noch bestehende Tochterkloster Eibingen bei Rüdesheim.

 

Kloster Rupertsberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges

Man nannte die wohl größte Mystikerin Deutschlands ehrfurchtsvoll "Tischgenossin Gottes". Im Vorwort zu "Scivias", führt Hildegard aus: "Im Jahre 1141 der Menschwerdung Jesu Christi, als ich zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt war, sah ich ein überaus stark funkelndes Licht aus dem geöffneten Himmel kommen. Es durchströmte mein Gehirn, mein Herz und meine Brust ganz und gar, gleich einer Flamme, die jedoch nicht

brennt, sondern erwärmt. Es erglühte mich so, wie die Sonne einen Gegenstand erwärmt, auf den sie ihre Strahlen ergießt. Und plötzlich hatte ich die Einsicht in den Sinn und die Auslegung des Psalters, des Evangeliums und der anderen Schriften des Alten und Neuen Testamentes."

Hildegard war Künstlerin und Wissenschaftlerin, Mystikerin und Ärztin, Dichterin und politisch engagiert, dennoch von zartem und gebrechlichem Wesen und lebte in einer von Männern dominierten Welt. Ihre Regeln für eine gesunde Lebensführung klammerten auch die Sexualität nicht aus, ihre Gedanken zur Rolle der Frau waren mutig und richtungsweisend. Unter dem ständigen Druck der über sie kommenden Gesichte begann Hildegard 1141, ihre Visionen schriftlich festhalten zu lassen. Sie wurde darin von Bernhard von Clairvaux unterstützt; er erreichte bei Papst Eugen III. die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Schriften, als der 1148 auf der Synode von Trier weilte. Hildegard predigte auch auf dem Marktplatz in Trier, beriet Kaiser Barbarossa in Ingelheim, ritt noch in hohem Alter nach Maulbronn und Zwiefalten, "von innerem Licht beauftragt, ihre himmlische Belehrung mitzuteilen". Nach Aufstellung des dritten Gegenpapstes durch Kaiser Barbarossa bezog Hildegard in einem Brief an ihn eindeutig Stellung, bekannte sich zu Papst Alexander III. und schrieb freimutig: "Gib acht, dass der höchste König dich nicht zu Boden streckt!"

Ihr erstes, 1141 bis 1147 verfasstes visionäres Werk "Liber Scivias Domini", "Wisse die Wege Gottes", schrieb Hildegard zusammen mit Propst Volmar von Disibodenberg, den sie "symmista", "Miteingeweihten", nannte. Das schwer verständliche Buch ist durchweg prophetisch und mahnend in der Art von Ezechiel und der Offenbarung des Johannes. Hildegard schlägt einen großen heilsgeschichtlichen Bogen von der Schöpfung der Welt und des Menschen über das Werden und Sein der Kirche bis zur Erlösung und Vollendung am Ende der Zeiten. Die ewige Geschichte von Gott und Mensch, von Abkehr und Hinwendung des Menschen zu seinem Schöpfer, wird in immer neuen Bildern anschaulich gemacht. Das ihr oft zugeschriebene Zitat "Werde was du bist - Mensch, werde Mensch" stammt zwar nicht von Hildegard, charakterisiert aber ihre Denkweise.

"Die heilige Gottheit kann keiner je begreifen, nicht einmal berühren mit seinem Verstand, so hoch er ihn auch emporrecken mag. Gott ist höher als alles", schrieb sie knapp hundert Jahre, bevor Thomas von Aquin genau dies in unübertroffener Meisterschaft versuchte - bis auch er nach einer mystischen Erfahrung ein Jahr vor seinem Tod dieses Bemühen einstellte. Das Geheimnis des Geistes Gottes ist für Hildegard aber in der Schöpfung erfahrbar: "Alles durchdringst Du, die Höhen, die Tiefen, jeglichen Abgrund." Im Herzen des Universums steht für sie der Mensch, das "volle Werk" des Schöpfers, denn nur der Mensch kann ihn erkennen; aber deshalb steht der Mensch auch vor der Entscheidung: steigt er empor, hebt er die Schöpfung mit sich empor; fällt er, reißt er die Schöpfung mit in den Abgrund. Hildegard empfindet sehr stark die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Schöpfung - im Guten wie im Bösen. Von den Umweltaktivisten ist sie heute noch gar nicht richtig wahrgenommen.

Hildegard erwies sich auch als Dramaturgin, Dichterin und Komponistin, verfasste Texte und Melodien zu 77 Liedern und das Singspiel "Ordo Virtutum", "Spiel der Kräfte", in dem sie den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse in 35 dramatischen Dialogen zur Darstellung bringt. Theologisch brachte sie dieses Thema in ihrem zweiten großen Hauptwerk, dem "Liber Vitae Meritorum", "Buch des verdienstlichen Lebens" noch einmal zur Sprache. Der Mensch, so Hildegards Grundanliegen, ist frei geschaffen und sein Leben lang in die Entscheidung gestellt, seiner in der Schöpfung grundgelegten Gottesebenbildlichkeit zu entsprechen; als Vorbild enthält das Buch eine malerische Lebensbeschreibung Christi.

Ihr letztes, 1163-1170 entstandenes Werk war das "Liber divinorum operum", "Buch der göttlichen Werke", eine Betrachtung der Natur im Licht des Glaubens, ein gewaltiges, den gesamten Kosmos betrachtendes Werk. Hildegard lässt die Welt als Kunstwerk Gottes aufstrahlen; der Mensch erscheint als Mikrokosmos, der in all seinen körperlichen und geistigen Gegebenheiten die Gesetzmäßigkeiten des gesamten (Makro-)Kosmos widerspiegelt. Alles ist aufeinander bezogen, wechselseitig miteinander verbunden und in Gott untrennbar vereint. "O Mensch", ruft Hildegard aus, "schau dir doch den Menschen richtig an: Der Mensch hat ja Himmel und Erde und die ganze übrige Kreatur schon in sich selber und ist doch eine ganze Gestalt."

Der Gedanke der Einheit und Ganzheit ist auch der Schlüssel zu Hildegards natur- und heilkundlichen Schriften. Krankheit ist für sie ein Defizit oder Ungleichgewicht, Gesundheit dagegen das Gleichgewicht der Seele. In ihren Werken "Causae et curae", "Ursachen und Behandlung", und ihrer "Physica", "Naturkunde", wird deutlich, dass Heil und Heilung des kranken Menschen allein von der Hinwendung zum Glauben ausgehen kann, denn der Glaube allein bringt gute Werke und eine maßvolle Lebens-Ordnung hervor. In ihren Büchern "Liber Simplicis Medicinae" und "Liber Compositae Medicinae" hat Hildegard 280 Pflanzen und Bäume katalogisiert und nach ihrem Nutzen für Kranke aufgelistet. Der Rupertsberg wurde das Zentrum der Kranken, Hilfe- und Ratsuchenden des ganzen damaligen Rheingaus.

Hildegards seelsorgliche Arbeit galt vor allem dem Klerus, der damals zu verweltlichen drohte. Alle, die ein Vorsteheramt zu verwalten hatten, warnte sie vor Härte und empfahl Barmherzigkeit und Maßhaltung. In Köln sprach sie öffentlich zum Klerus, die Predigt ist erhalten: "Ihr seid eine Nacht, die Finsternis ausatmet, und wie ein Volk, das nicht arbeitet. Ihr liegt am Boden und seid kein Halt für die Kirche, sondern ihr flieht in die Höhle eurer Lust. Und wegen eures ekelhaften Reichtums und Geizes sowie anderer Eitelkeiten unterweist ihr eure Untergebenen nicht. Ihr solltet eine Feuersäule sein, den Menschen vorausziehen und sie aufrufen, gute Werke zu tun." 1632 wurde das Kloster Rupertsberg zerstört, Hildegards Reliquien wurden nach Köln, später nach Eibingen gebracht. Theodor Schnitzler nannte sie "Deutschlands größte Frau". In neuerer Zeit hat Hildegard besonders mit ihren Vorstellungen von Naturheilkunde und Ernährung wieder große Beachtung gefunden.